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Familie und böse Geister

Lissa

Nach einer wunderbaren Reise durch verschiedenste Klima- und Vegetationszonen, durch verschiedenste Städte mit verschiedenster Kultur sind wir nun wieder zu Hause.

Das ist Butiama, unser zu Hause.

Die Schule ist noch immer geschlossen und so sind alle Kinder und der Rest unserer Familie da und kommen auf uns zugelaufen, sodass wir aus dem Umarmen gar nicht mehr raus kommen. Bei so einem Empfang freut man sich wieder da zu sein.

Ich spreche von zu Hause und ich spreche von Familie. Wir sind integriert und willkommen. Das ist ein tolles Gefühl!

Apropos Familie: Die Familie steht in Tansania an erster Stelle und ihr ist im täglichen Leben die größte Bedeutung zuzuschreiben. Viele Kinder zu haben ist eine gesicherte Altersvorsorge, denn es ist selbstverständlich sich um seine Eltern zu kümmern, wenn diese es selbst nicht mehr können. Fünf bis sechs Kinder sind dabei keine Seltenheit.
Jedoch herrscht eine strenge Hierarchie innerhalb des Clans.

Der Vater, das Familienoberhaupt, trifft alle wichtigen Entscheidungen und ist eine große Respektsperson. In den meisten Fällen verwaltet er auch das Geld der Familie. Dabei ist es völlig normal zu dem Onkel der Schwester eines Cousins zu gehen und diesen um Geld zu bitten. Also kommt die Familie – in Deutschland wahrscheinlich nicht mal mehr Verwandtschaft genannt – auch für finanzielle Engpässe oder die Ausbildung auf. Im Haushalt gibt es klar verteilte Rollen. Der Vater darf sich entspannt zurücklehnen, während die Ehefrau damit beschäftigt ist Feuerholz zu sammeln, zu kochen und zu waschen. Gegessen wird gemeinsam auf dem Boden – in wohlhabenderen Familien natürlich am Tisch.

Aber auch die Kinder werden schon früh mit in die Arbeit eingebunden. Nicht selten sieht man Vier- oder Fünfjährige, die Neugeborene auf dem Rücken tragen, Feuerholz zum Kochen sammeln oder das Geschirr abwaschen.
Man lebt zusammen, schläft zusammen in einem Bett und teilt dabei alles was man hat. Man lebt in einem Kollektiv, es herrscht das Wir-Denken. Alles wird für oder mit der Familie getan, das steht an erster Stelle. Denn in einem Land ohne staatliche Unterstützung würden viele Menschen ohne ihre Großfamilie kläglich scheitern.

‚Das Reisen führt uns zu uns zurück.‘ – Albert Camus

Durch unsere Reisen haben wir bereits einen Großteil Tansanias gesehen und können dadurch auch gut Vergleiche ziehen. Ganz deutlich sieht man den Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Mara Region ist mit Abstand die ärmste Region, was man auch ganz klar an der Bevölkerung ausmachen kann. In Mwanza zum Beispiel, der zweitgrößten Stadt Tansanias, sieht man die Frauen in feiner Kleidung, geschminkt und mit sehr viel Schmuck und ein Range Rover folgt dem nächsten. Viele junge Menschen lassen die Tradition hinter sich und wenden sich von der Familie ab, um zur Selbstständigkeit und Freiheit zu gelangen, sich selbst etwas aufzubauen.
Es gibt also einen Umbruch in der Tradition und inzwischen entscheiden sich viele Jugendliche für ein eigenes Leben ohne Großfamilie, die Heirat aus Liebe und für eine freie Berufswahl. Schon oft haben wir junge Familien im Bus oder im Dala gesehen, bei denen man diese Einstellung offensichtlich bemerkt hat.

Ein Gespräch, was sich in vielen Städten genau so abgespielt hat:

‚Wo kommt ihr her?‘
‚Wir wohnen in Butiama, Musoma.‘
‚Ahh Musoma, da töten und kämpfen die nur. Schlimme Menschen!‘

Dieses Bild befindet sich in den Köpfen der Tansanier und man muss sagen: in einigen Dingen haben sie sogar Recht.
Für eine vergleichsweise harmlose Tat wie ein Hühnchen stehlen, wird dem Dieb wenn nicht sogar noch mehr eine Hand abgeschlagen.
Was wir auch schon miterlebt haben war die öffentliche Verurteilung eines Diebes, bei der die Männer des Dorfes zusammen kommen und den Dieb bewaffnet mit Stöcken oder Steinen verfolgen. In aller Öffentlichkeit wird dieser dann für seine Tat bestraft.
Albinismus kommt in Tansania häufiger vor. Durch einen genetischen Defekt tritt ein Fehler der Hautpigmentierung auf und diese Menschen werden mit heller Haut geboren.
In der Region um Musoma haben wir noch nie eine/n Albino-Tansanier/in gesehen und uns gewundert, als wir in Arusha, Tanga oder Mbeya so viele gesehen haben.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass hier ein weitverbreiteter Aber- sowie Geisterglaube herrscht. Die Gliedmaßen von Albinos gelten als große Opfergabe und Schutz gegen böse Geister. Obwohl sie genau so Menschen wie alle anderen sind, werden sie aus der Gesellschaft verstoßen, gejagt und getötet. Der Mörder wird dann meistens auch noch für seine Tat belohnt. Als Frau ein Albino-Kind oder etwa gar keine Kinder zur Welt zu bringen gilt als Schande, die Frau als verhext und damit wird sie nicht mehr für würdig empfunden zu der Familie zu gehören und wird mit Sicherheit auch keinen Mann finden, der sie finanziell unterstützen kann.
Natürlich gilt die noch lange nicht für alle Menschen, die hier leben und mit Sicherheit denken nicht alle an Geister, allerdings ist es schon verwunderlich hier auf keinen einzigen Menschen mit Albinismus zu treffen.
Und so bizarr es für westliche Ohren klingen mag, glauben manche Menschen tatsächlich ganz fest daran.

Ein paar Tage nach unserer Ankunft. Das Krankenlager bricht aus, und zwar so richtig. Bisher sind wir ziemlich gut davon gekommen, was Krankheiten betrifft, doch auf einmal hat es uns beide erwischt.
Sonntag, ich wache mit Fieber auf. In einem tropischen Land denkt man natürlich sofort an das Schlimmste, man denkt sofort an Malaria. Deswegen fahren wir ins Krankenhaus im nahe gelegenen Kiabakari, da es wohl kaum ein Krankenhaus mit schlechterem Ruf geben kann als das in Butiama.
So etwas wie eine Krankenversicherung gibt es in Tansania natürlich nicht. Deswegen muss man die Arztkosten und auch alle Medikamente selbst finanzieren. Hier in der Mara Region geht die Summe noch, aber in Daressalaam sieht das schon wieder um Einiges anders aus.
Herausgestellt hat sich zum Glück bloß eine bakterielle Infektion. Und weil es dort so schön war, fahren wir am Mittwoch gleich nochmal hin. Diesmal ist es Nora, die andere, noch unangenehmere Beschwerden plagen als mich. Auch Fehlalarm, wahrscheinlich etwas falsches gegessen.
Ein Besuch im Krankenhaus ist nie schön, vor allem weil die meisten tansanischen Krankenhäuser bei Weitem nicht dem entsprechen, was wir aus Deutschland gewohnt sind. Trotzdem sollte man ja immer sicher sein, denn es könnte bei dem ein oder anderen Mal eben doch etwas Schlimmeres dabei sein.

Heute ist der 17.05.2013. In 81 Tagen, knapp drei Monaten packen wir unsere Sachen, müssen uns verabschieden und fliegen nach Deutschland zurück.
Unvorstellbar wir schnell die Zeit verfliegt und der Gedanke all den liebgewonnenen Menschen für ungewisse Zeit Lebewohl zu sagen gefällt mir gar nicht mal so sehr.
Natürlich freue ich mich wahnsinnig auf mein anderes zu Hause, aber Butiama ist jetzt meine zweite Heimat geworden, die ich nur ungern verlasse.

Aber keine Angst, ich komme auf jeden Fall zurück zu Euch!
Da dürfen sich jetzt beide Seiten angesprochen fühlen 🙂

Liebste Grüße

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7 Kommentare zu Familie und böse Geister

  1. Steffi sagt:

    Ohh Lisso,
    ich freu mich schon wenn du wieder da bist ! =)
    Ich lese deine Erlebnisse jah immer fleißig aber es von dir persönlich zu hören wird um einiges besser sein !
    Also für die letzten 3 Monate noch ganz viel Spaß und Freude !
    Hier wirst du schon sehnsüchtig erwartet !

    P.S.: Ich hoffe du bist wieder ganz gesund ?!

    L.O.V.E. <3
    Deine Steffi =)

    • Lissa sagt:

      Liebe Steffi ,
      ich freu mich wirklich sehr, dass du mich so fleißig ‚verfolgst‘ 😉
      Auf ein Treffen in drei Monaten?
      Liebste Grüße an dich!
      Kuss!

      • Steffi sagt:

        Naa klar !
        Ich find das voll spannend was du so alles zu berichten hast !

        Aber auf jeden !
        Sag bescheid wenn du baack kommst und dann wird sofort ein Treffen vereinbart ! =)

        Love <3

  2. Mami sagt:

    Meine liebe Lissi,
    das hoffe ich doch, dass du dich auch wieder auf dein Zuhause in Deutschland freust!;-) Ich freue mich jedenfalls schon ganz doll darauf, dich wieder hier zu haben. Aber vorher sehen wir uns ja noch in deinem jetzigen Zuhause und darauf bin ich schon sooo gespannt und kann es kaum erwarten. Heute genau in 5 Wochen machen wir uns auf den Weg!
    Viele liebe Grüße und einen dicken Kuss von deiner
    Mami

  3. annemie sagt:

    Liebe Lissi,
    wir lesen auch gern deinen blog, es ist sehr interessant, deine ausführlichen Berichte zu lesen. Zum Glück war´s keine Malaria.
    Für den Rest der Zeit wünschen wir dir noch ganz viel Freude, und du bekommst ja auch noch einmal lieben Besuch.
    Besito
    Annemie und Max

    • Lissa sagt:

      Liebe Annemie,
      lieber Max,
      es freut mich sehr, dass ihr auf diesem Wege (fast) alles von mir mitbekommt.
      Was Krankheiten betrifft, sind wir bisher ziemlich gut weggekommen, aber das sollte ich wohl lieber nicht zu laut sagen..
      Ganz liebe Grüße und bis bald
      Lissa

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