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50 Rand für eine Demütigung

Liebe Freunde in aller Welt,

„Das einzig „Sichere“ ist, dass es ganz anders sein wird, als du es dir vorher vorgestellt hast!
Diesen Satz laß ich vor meiner Bewerbung auf der Website einer Freiwilligendienstorganisation. „Bin ich bereit, mich darauf einzulassen?“, habe ich mich gefragt. Und schnell wusste ich, ich war bereit – das war genau, was ich wollte.

„Dann würde ich sagen, ruf deine Airline an und mach dass du den nächsten Flug nach Hause kriegst.“ Ja, das hatte ich mir tatsächlich etwas anders vorgestellt. „Bei deiner Arbeitshaltung könnten wir den Platz, den du im Büro wegnimmst, auch sinnvoller nutzen.“ Trauriger Tiefpunkt eines „ganz anderen“ Jahres war das, was ich mir am 17.7.2012 von Sassan, meinem Chef, anhören musste. Ich hatte nicht einmal mehr vier Wochen hier in Südafrika vor mir und könnte jenen Tag als folgerichtigen Schlussstrich nach einem Jahr sozialer Arbeit ziehen, während dem ich nie glücklich geworden bin. In diesem Artikel möchte ich beleuchten, wie es dazu kam.

Anfang Oktober 2011: Yabonga

Schon wenige Wochen nach meiner Ankunft an der DSK bekam ich das Gefühl, dass die Eindrücke, die ich hier gewinnen würde, verbunden mit der Art meiner Arbeit für mich zu einseitig sein würden. Mir gefiel die Art meiner Arbeit nicht wirklich und ich bekam allmählich wachsende Motivationsprobleme. Deshalb verbrachte ich meine Frühlingsferien bei einem sozialen Projekt namens Yabonga. Im Rahmen dessen habe ich mit Kindern, die von HIV und AIDS betroffen sind, gesungen, gesprochen, gespielt und ihnen etwas vorgelesen. Ein Höhepunkt war, als ich an einem Tag mit zu einem Fußballtunier fahren durfte, das Yabonga veranstaltet hat und das für die Kinder ein großes Erlebnis war (siehe Artikelbild). In jener Woche habe ich viel über ihr Leben im Township Nyanga gelernt.

Für mich war das eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich hatte nicht das Gefühl, wirklich physisch etwas zu bewirken, was ohne mich nicht da gewesen wäre. Doch schon dass noch jemand Fremdes da war, scheint für die Kinder schön gewesen zu sein.
Das Erlebte warf in mir vielleicht zum ersten Mal die Frage auf, ob die DSK das Projekt ist, in dem ich den Rest meines Jahres verbringen möchte. So telefonierte ich einige Zeit später mit Bernhard, meinem Ansprechpartner beim IB, und erzählte ihm davon. Er überzeugte mich, dass es einen Versuch wert sei, etwas in meinem Projekt so zu verändern, dass ich damit besser klarkommen würde. Dabei würde mir bestimmt das Zwischenseminar helfen. Dieses sollte ich abwarten, bevor ich überhastete Entscheidungen treffe.

Anfang Februar 2012: Billige Arbeitskraft

Nach dem Zwischenseminar Ende Januar habe ich Sassan, meinen Chef, gefragt, wie er meine Rolle als Freiwilligen sieht. Gleich im ersten Satz seiner Antwort fiel der Ausdruck „billige Arbeitskraft“. Laut ihm sei für die Schule auch der einzige mögliche Zweck meiner Arbeit, dass ich den überarbeiteten Verwaltungsangestellten und vor allem ihm, dem IT-Manager, die Arbeit abnehme, für die ihre Zeit zu wertvoll ist. Und er könne sich nicht vorstellen, dass das in anderen Projekten anders sei. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn er nicht wenigstens noch betont hätte, dass es sich die Schule nicht leisten könne, für meine Aufgaben eine bezahlte Kraft einzustellen, was bedeutet, dass meine Arbeit tatsächlich einen Mehrwert für die Schule darstellt, der nicht so leicht ersetzbar ist.

Ende Februar 2012: 50 Rand für eine Demütigung

Am 23. Februar veranstaltete der Elternbeirat der Schule ein Meet and Greet, zu dem die Lehrer, Mitarbeiter und auch wir Freiwillige eingeladen waren. Einen Tag vorher fragte mich Chris, der Eventmanager, ob ich bereit wäre, während der Veranstaltung hinter der Theke zu stehen und Alkohol auszuschenken. Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht machen möchte, weil ich mich darauf gefreut habe, als Gast an der Veranstaltung teilzunehmen, wozu ich ja auch schon seit Wochen eingeladen war. In Zukunft wüsste ich gerne früher Bescheid. In dieser Situation saß Sassan dabei und sagte in einem leicht aufgebrachten Ton zu mir, dass der Umstand, dass ich eingeladen worden wäre, nichts zur Sache tue, denn er würde auch immer zu allem eingeladen und müsste (als IT-Manager) trotzdem immer die Technik dort regeln. Außerdem würde er und die Schule von uns erwarten, dass wir für solche Events zur Verfügung stehen. Ich war erst völlig fassungslos, damit aber auch so ratlos, dass meine Widerstandsfähigkeit wie eingefroren war. Wehren konnte ich mich nun nicht mehr und habe zugesagt. Meine drei Mitfreiwilligen wurden entweder nicht gefragt oder konnten sich erfolgreich wehren.

An dieser Stelle muss ich Chris in Schutz nehmen: Es war sein erstes Event an der DSK und daher war die Organisation etwas chaotisch. Das war nicht primär seine Schuld.
Beim Meet and Greet stand ich dann mit zwei Frauen von der Hausmeisterei (die ja eigentlich auch als Gäste eingeladen gewesen waren und sich entsprechend unzufrieden über die ganze Situation geäußert haben) und einem meiner Nachbarn, der gerade studiert, hinter der Bar und habe mir befehlen lassen zu arbeiten, nur damit sich die Lehrer und Elternvertreter selbst feiern konnten. Auf einer Feier, auf die ich selbst als Gast eingeladen war. Ich kann das noch immer nicht fassen. Bei all dem durfte ich dann auch noch zusehen, wie meine Mitfreiwilligen Spaß haben und mich verständnislos anschauen. Und bei der Beziehung zwischen meinem Projekt und mir liegt mir so ein Ereignis schwer im Magen.

Ein paar Tage später geschah dann etwas völlig Unerwartetes: Als ich, wie jeden Morgen, bei der Verwaltung vorbeischaute, sprach mich eine der beiden Mitarbeiterinnen an, dass ich noch 50 Rand bekommen würde. Ich wusste zuerst nicht recht warum. „Du hast doch beim Elternratsabend mitgeholfen.“ Ok. So bekam ich, errechnet aus 150 Minuten Arbeit und einem für südafrikanische Verhältnisse durchaus nicht schlechten Stundenlohn von 20 Rand, 50 Rand für eine Demütigung. Und für freiwillige, ehrenamtliche, soziale Arbeit. Das hatte ich mir unter „Freiwilligendienst“ nun ganz gewiss nicht vorgestellt.

Gelände der DSK [1]

Gelände der DSK (Deutsche Internationale Schule Kapstadt) vor Beginn der Bauarbeiten

März 2012: Eine aussichtslose Suchaktion

Ein Umstand, der die DSK anders macht als andere Projekte und der mir in meinem Jahr hier Schwierigkeiten bereitet hat, ist folgender: Ich bekomme meine Unterkunft und Verpflegung hier nicht von meiner Entsendeorganisation aus meinem Teilnahmebetrag oder dem deutschen Staat, sondern direkt von der DSK gestellt.

Das erschwert mir hier das Arbeiten und das Verhältnis zu meinem Chef. Denn er kann mich damit gut unter Druck setzen, wie auch an jenem 17. Juli: „Wenn du keine Motivation hast, die Bücher einzugeben, dann können wir auch sagen, wir haben keine Motivation, die weiterhin was zu essen zu geben.“ Da ich schnell schlechte Laune bekomme, wenn ich hungrig bin (und ich mich nicht für den Rest meiner Zeit in Südafrika zusätzlich zu meinem Teilnahmebeitrag auf eigene Kosten selbst zu versorgen bereit bin), kann ich hier nicht mehr von einem Freiwilligendienst sprechen, sondern nur noch von einem Arbeitsverhältnis, das auf der Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber beruht.

Und es hat mir das Finden eines neuen Projektes, in das ich hätte wechseln können, fast unmöglich gemacht. Denn der IB erwartet von mir, falls ich wechsle, dass ich dann entweder meine Unterkunft und Verpflegung selbst zahle (zusätzlich zum Teilnahmebeitrag versteht sich) oder ich ein Projekt finde, dass mir das zahlt. Wenn ich ein solches Projekt hier in Kapstadt suche, wo viele Projekte nicht wissen, ob sie nächsten Monat noch existieren werden, muss ich mich fragen, welchen geldwerten Nutzen ich diesem Projekt bieten kann. Bei vielen wäre es aber wie bei Yabonga: Ich wäre für jemanden da, zusätzlich – das wäre schön, aber es bringt oder spart kein Geld. Bei anderen Projekten wüsste ich nicht, wie ich meine Unterkunft und Verpflegung bezahlt machen könnte und ob ich mit den Aufgaben, die ich dann bekäme, glücklicher wäre als an der DSK. Und für mich stellt sich auch die generelle Frage, ob ein Freiwilligendienst überhaupt geldwert sein soll oder darf.

So kam es, dass ich an der DSK immer unglücklicher wurde, aber trotz intensiver Suche kein passendes Projekt fand, in das ich hätte wechseln können und wollen. Kurz vor den Osterferien legte ich diesen Versuch als aussichtslos zu den Akten.

April bis Mai 2012: Das Dilemma des Hilfswilligen

Bernhard hatte mir empfohlen, dass ich versuchen sollte, die Schule dazu zu bringen, mich an einem oder zwei Tagen in der Woche in einem anderen Projekt arbeiten zu lassen, während ich weiter hier wohnen und verpflegt werden würde. Ich hatte schon bei Yabonga gefragt und eine mehr oder weniger positive Antwort bekommen: Dort wäre man sehr froh, wenn ich kommen würde, aber ich müsste selbstständig zum Projekt kommen, wofür ich wahrscheinlich ein Auto bräuchte. Als es sich als unmöglich erwiesen hat, mit meinen Mitfreiwilligen gemeinsam ein Auto zu mieten und zu nutzen, habe ich nochmal Yabonga angeschrieben und gefragt, wo denn meine potenzielle Einsatzstelle überhaupt liegt. Vielleicht könnte ich eine Übernachtungsmöglichkeit in der Nähe finden, vielleicht bei einem Lehrer oder Eltern der DSK, die günstiger wäre als mir ein Auto zu mieten. Ich sollte es nie herausfinden, denn leider habe ich nie eine Antwort auf diese Frage bekommen.

Yabonga beim Youth Day [2]

Eine Szene aus Yabongas Feier anlässlich des Youth Days

An dieser Stelle möchte ich wirklich nicht auf Yabonga herumhacken, das liegt mir total fern. Meine Ansprechpartnerin dort hat in der Zeit Großartiges organisiert. Zum Beispiel Yabongas große Feier zum Youth Day, dem Jahrestag des Schüleraufstands von Soweto am 16.6.1976. Und hatte einfach so viel zu tun, dass sie es nicht geschafft hat, sich um mich zu kümmern – sei es auch nur eine einzige Frage.

Das ist etwas, was ich im Zusammenhang mit meinem Freiwilligendienst gelernt habe: Als Freiwilliger denkt man schnell, es sind die anderen, die etwas von einem wollen, also werden sie bestimmte Sachen für einen tun – und einem „helfen zu helfen“, sozusagen. Das ist aber nicht so, zumindest nicht immer. Gerade wenn Projekte Hilfe gut gebrauchen könnten, haben sie oft keine Zeit und Ressourcen, die sie auf diese Hilfe aufwenden können. Und bei vielen Projekten stellt ein Freiwilliger einen Zusatznutzen dar, der nicht unbedingt gebraucht wird und in der Zeit vor dem Freiwilligen auch noch gar nicht vorhanden war. Den Zusatznutzen zu implementieren stellt einen Aufwand dar, der manchmal selbst mit dem vorhandenen Willen dazu schwer zu leisten ist. Und es gibt einen Unterschied zwischen bereit sein zu helfen und helfen wollen: der, der etwas will.

Ende Mai bis Mitte Juli 2012: Ein letzter Anlauf

Genauso kam es dann Ende Mai, als ich noch ein letztes Mal versucht habe, in ein anderes Projekt zu wechseln, allen finanziellen Aufwändungen und der fehlenden Probephase zum Trotz. Ich habe mit dem Projekt Creating Change eine Schule in einem sehr benachteiligten Coloured-Township einen Tag lang besucht. Dort verankert Creating Change umweltbewusstes und nachhaltiges Handeln. Dieses Projekt, das keine bezahlten Mitarbeiter hat und unter starkem Personalmangel leidet, hat mich schnell begeistert. Leider fühlte ich mich bei dem, was an dem Tag auf dem Programm stand, eher im Weg als hilfreich. Als ich noch am selben Tag mit der Projektleiterin darüber gesprochen habe, zeigte diese sich überzeugt, dass ich mit meinen Fähigkeiten und Interessen an anderer Stelle in der Schule durchaus etwas Schönes und Wichtiges auf die Beine stellen könnte. Sie werde es dem Schulleiter sagen und sie werden sich bei mir melden, was sie sich für mich vorstellen könnten. Letzteres ist leider nicht eingetreten. So hatte ich meinem Chef, vielen meiner Kollegen und auch dem Schulleiter der DSK schon mitgeteilt, dass ich gerne wechseln würde, zumindest für zwei Tage pro Woche. Und trotzdem ist nichts daraus geworden. Erst zwei Wochen nach den Winterferien habe ich dann, ohne eine Idee wie es für mich dort hätte weitergehen können, endgültig abgesagt.

17. Juli 2012: Der Tiefpunkt kommt kurz vor Schluss

Nachdem ich vor den Ferien Bücher in ein neues Softwaresystem, mit der die Bibliothek verwaltet werden soll, eingegeben hatte und dabei sehr langsam gearbeitet habe, wurde ich am 17. Juli, dem zweiten Tag nach den Ferien, zur Rede gestellt. Sassan hatte selbst ein Buch eingegeben und das viermal schneller geschafft als ich im Durchschnitt – und er wollte wissen warum. Für mich kam das etwas überraschend, deshalb wusste ich erst gar nicht mehr, warum ich so langsam gewesen war. Schließlich lagen drei Wochen Ferien dazwischen. Also habe ich ihm das gesagt, woran ich mich erinnert habe: Beim Eingeben kamen bei mir viele Unklarheiten auf. So musste ich zum Teil lange nach Daten suchen oder darüber nachdenken, wie ich die Bücher eingeben soll. Außerdem fehlte mir einfach die Motivation. Heute erinnere ich mich wieder, dass ich mir bei der Büchereingabe bewusst war, dass ich so viele Fehler dabei mache, dass ich etliche Bücher nach den Ferien erneut würde eingeben müssen. Doch als Sassan mich fragte, fiel mir der Grund für meinen Motivationsmangel einfach nicht ein. Und das habe ich Sassan auch vollkommen vorbehaltlos gesagt. Als Antwort bekam ich, was ihr oben schon gelesen habt:
Drohungen und Beschimpfungen. Ich wäre ihm in den Rücken gefallen, weil er die Bibliothekarinnen von der Einfachheit des neuen Systems überzeugen wollte und die nun sehen würden, dass ich ewig mit der Eingabe brauche. Das kann ich auch irgendwie nachvollziehen und habe es schnell in der Bibliothek geklärt (was nichts daran geändert hat, dass die Bibliothekarin Sassan die Schuld gegeben hat). Als ich Sassan dabei darauf angesprochen habe, dass ich mich mit meiner Rolle als Freiwilliger hier an der DSK seit langer Zeit schon nicht wohlfühle, entgegnete er etwas sehr Frustrierendes: „Dass du Freiwilliger bist, zählt nicht. Wir sind alle freiwillig hier.“ Warum mach ich dann beim nächsten Mal nicht einfach Freiwilligendienst in einer Bank? Da sind so gesehen auch alle freiwillig da.

Die Situation zwischen mir und meinem Projekt und gleichzeitig die anscheinende Ausweglosigkeit hat mich immer wieder traurig gemacht. Sie hat mich aber auch zum Nachdenken angeregt. Ich habe viele Eindrücke von Entwicklungshilfe erhalten, an die ich vor einem Jahr nicht im Traum gedacht hätte. Mittlerweile habe ich angefangen, ein Brettspiel darüber zu entwerfen, um sie zu verarbeiten. Wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages wieder. Vielleicht sogar nach Kapstadt. Hoffentlich beim nächsten Mal mit einem anderen Hintergrund, der mich meine Zeit hier genießen lässt. Auf jeden Fall weiß ich dann schon vorher: Dass alles anders wird als vorgestellt, darf nicht dazu führen, dass ich meine Wünsche, wie es sein soll, hinten anstelle.