Molweni nonke!
Anfang April habe ich endlich angefangen, Xhosa-Unterricht zu nehmen. Jeden Donnerstagmorgen um 7 nehme ich eine Stunde Unterricht bei der Xhosa-Lehrerin der DSK, Kim. Zusätzlich habe ich Bücher und Sprach-CDs und höre viel Musik auf Xhosa. Es macht mir wirklich Spaß, aber es ist ein bisschen spät. Denn noch viel nützlicher wäre es über drei Monate vorher gewesen: an der Wild Coast bei Bulungula.
In meinen letzten beiden Artikeln habe ich es euch ja schon erzählt: Nach einigem Hin und Her habe ich mich am Ende meiner Namibia-Reise dazu entschlossen, mich auf eine Fahrt ins Ungewisse zu begeben und zu Bulungula zu reisen. Und zwar noch am selben Tag, dem 2.1., an dem ich aus Namibia wieder zurückgekommen bin.
Der kapmalayische Karneval am 2.1. wäre sicher total schön gewesen zum Zuschauen. Habe ich leider verplant. Stattdessen stand ich in der Stadt im durch den Karneval verursachten Stau, in der Eile, an einem Nachmittag vom Bahnhof zur Schule und wieder zurück zu kommen. Geradeso habe ich meinen Bus erwischt.
In Mthatha angekommen, haben mir die freundlichen Mitarbeiter von DMJ-Transport geholfen, eine Fahrkarte für die Rückfahrt zu kaufen und das Minibustaxi zu finden, das mich weiter in Richtung des Dorfes Nqileni, in dem sich das Bulungula-Projekt befindet, zu bringen. Per Minibustaxi und anschließend mit 13 anderen Fahrgästen auf der Ladefläche eines Pickups ging es weiter. Mein Gepäck, so viel hatte ich nie zuvor in Minibustaxen dabei gehabt, stellte kein Problem dar. Die Fahrer waren sehr hilfsbereit, das Gepäck der Fahrgäste irgendwo zu verstauen – die anderen Fahrgäste hatten zum Teil noch mehr dabei. Das machte die Fahrten zwar sehr eng (ich konnte meine Füße nicht ganz auf den Boden aufsetzen, nach der ersten Viertelstunde von 3 Stunden Pickup-Taxi taten mir übelst die Knie weh), aber ich hatte keine Probleme voranzukommen. Etwa sechs Stunden nachdem ich in Mthatha losgefahren war, war ich endlich in Nqileni. Es war bereits stockdunkel – so dunkel, dass ich meinen ersten Blick auf den Indischen Ozean überhaupt auf den nächsten Morgen verschieben musste. Zum Glück hat mich ein Mitarbeiter der Lodge zu meinem Homestay gefahren und mir mehr als nur ein bisschen mit Übersetzung geholfen.
Meine Zeit in Bulungula war gleichzeitig die spannendste und entspannteste Zeit für mich seit ich hier bin. Ich wohnte bei einer traditionellen, ländlichen Xhosa-Familie. Zwei Familienmitglieder, die Tochter meiner Gastmutter und ihr Cousin, beide schätze ich auf Mitte Zwanzig, sprachen auch Englisch, die andern nur Xhosa. Ich hatte eine Rundhütte mit drei Betten für mich alleine! Und das Beste: Die Frau am Telefon, deren Namen ich zu allem Überfluss falsch verstanden hatte, war gar nicht meine Gastmutter, sondern mein Guide. Eine junge Frau, die recht gut Englisch sprach, sich auskannte und sehr hilfsbereit war. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich einen Guide zur Seite gestellt bekommen würde, aber das war schon ziemlich cool.
Obwohl Nqileni ein (für unsere Verhältnisse) abgeschiedenes Dorf ist, ist es für mich nur so mit Sehenswürdigkeiten gespickt. Die Dorfbewohner haben sich jede Menge Aktivitäten einfallen lassen. Und einige sind einfach von Natur aus da. Ich bin zum ersten Mal in Südafrika schwimmen gegangen, in der Mündung des Bulungula-Flusses. An anderen Tagen habe ich mir das Dorf zeigen lassen, habe den Xhora-Fluss per Kanu erkundet (wie mit meinem Vater als ich klein war!), ein paar Stunden „als Frau“ in der Dorfgemeinschaft verbracht, zur Massage gegangen und mir vom traditionellen Kräuterkundigen (Herbalist, eine Mischung aus Arzt und Medizinmann) einen Einblick in seine Arbeit geben lassen. Dazu viel gewandert, gelesen und gegessen. Meine Gastfamilie hat mich umfangreich mit Essen versorgt, das zum Großteil lokal angebaut wurde. Daher war es nicht sehr vielseitig. Hin und wieder wusste ich auch nicht, was es genau war, was ich gegessen habe. Da musste ich meine Gastfamilie daran erinnern, dass ich Vegetarier bin. Aber Mittagessen bekam ich nicht von der Gastfamilie. Ich konnte mich also entscheiden, ob ich in der Bulungula-Lodge essen wollte oder im iLanga-Fire-Restaurant. In diesem kann man köstliche Pfannkuchen essen, sehr günstig und zu allem Überfluss auch noch fast direkt neben meiner Hütte. Insgesamt kann ich mich über nichts beschweren.
Das Dorf Nqileni ist völlig anders aufgebaut als Dörfer, wie ich sie aus Deutschland kenne. Es besteht aus vielen Rundhütten, die über eine große Fläche verstreut sind. Nicht alle Hütten liegen an einer (oder besser: der einen) Straße. Zwischen den Hütten liegen weite Flächen, Wiesen und Felder. Auf den Feldern grasen Tiere, die die Familien halten und nachts in einem Kral aus Holz einsperren. Diese Tiere sind sehr zahm. Im Dorf gibt es kein fließend Wasser (Bewohner wie Gäste benutzen Grundwasser zum Trinken und Regenwasser zum Duschen, etc.) und der einzige Strom kommt aus ein paar Solarzellen auf dem Dach der Lodge – das reicht zum Aufladen von Akkus und zum Betreiben eines Kühlschrankes im ganzen Dorf, so etwa. Wie ironisch ist es da, dass ich dort jeden Morgen warm duschen konnte (meine Gastfamilie hat das Wasser über dem Feuer erwärmt und dann in einen Kanister auf dem Dach einer kleinen Duschhütte gefüllt), während ich hier, kaum war ich wieder in unserer Wohnung an der DSK, wochenlang kein warmes Wasser zum Duschen hatte.
Morgens nach dem Frühstück bin ich meistens hinunter zur Lodge gegangen. Dafür habe ich etwa 30 Minuten pro Weg gebraucht. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich den Weg wirklich alleine gefunden habe und dafür nicht mehr meinen Guide brauchte, schließlich gibt es keine Straßen, sodass man nicht sagen kann „…und dann die nächste Straße rechts“. Es ist mehr wie ein weites offenes Labyrinth ohne Wände, aber dafür mit Hügeln, die einem die Sicht versperren. Die Landschaft ist irgendwie seltsam: An manchen Stellen sieht es aus wie im Regenwald. An anderen fühlte ich wie im Leinebergland ohne Dörfer. An wieder anderen ist es hügeliges Grasland.
An der Lodge begannen meistens die Aktivitäten, die wir Gäste vor Ort buchen konnten. Außerdem liegt sie direkt an der Mündung des Bulungula-Flusses, in dem Einheimische wie Gäste gerne schwimmen. Das Wasser ist spürbar wärmer als in Kapstadt (wobei ich mich hier noch nie weiter als bis zu den Knöcheln reingewagt habe). Außerdem wohnen die meisten Gäste in der Lodge, nur wenige wohnen in Homestays.
Meine Zeit bei Bulungula war ein so erholsames Erlebnis, schlicht weil es dort vieles nicht gibt, wovon ich mich mal erholen musste: Keine Bettler, keine Kriminalität (was sogar dazu führte, dass ich aus Versehen den Schlüssel meiner Hütte mit nach Kapstadt genommen habe, denn ich hatte ihn nie benutzt und verdrängt, dass er existiert), keinen Krach, keine Hektik und keine Angst vom Auto überfahren zu werden. Ich musste mir keine Sorgen machen, wie ich an etwas zu essen komme, wo ich die nächsten Nächte übernachten werde und wie ich von A nach B komme – wobei mich letzteres bei Regen zu Fuß doch vor unerwartete Schwierigkeiten gestellt hat, so ohne Straßen. Schließlich war das vielleicht Erholsamste, dass ich viel Schlaf abbekommen habe. Das lag daran, dass es, wenn es ab etwa 20 Uhr dunkel war, dann auch wirklich richtig dunkel war – ohne elektrisches Licht und nur mit einer kleinen Petroliumlampe. Ist vielleicht noch gut, dass ich Anfang Januar da war, nicht im Juni.
Gleichzeitig war der Aufenthalt eine Sturmflut aus spannenden Eindrücken aus der lokalen Lebensweise, die doch so anders ist als das, was ich hier in Kapstadt erlebe. Wie mir ein Student erklärt hat, dass das Schulsystem auf dem Land so schlecht ist, weil der Lehrer einfach nur dann zur Arbeit kommt, wenn er gerade nichts Besseres zu tun hat. Wie mir erklärt wurde, dass die meisten Männer dort erst dann heiraten, wenn ihre Mutter pflegebedürftig wird, damit sie noch jemanden haben, der sie pflegt. Und ihre Freunde, wenn sie heiraten wollen, beauftragen, die Braut in ihr Haus zu entführen. Der Strauch, der immer zu dem Haus mit Zwillingen umgepflanzt wird. Die jungen Männer, die mich mit auf ihre Fahrt zum Spaza-Shop genommen haben, was für sie eine total große Sache war, obwohl sie nur eine Flasche Cola gekauft haben und der Spaza-Shop mitten im Dorf ist. Der Herbalist, der genau weiß, wann er seine Patienten ins Krankenhaus verweisen muss – und meinte, die häufigste Krankheit im Dorf sei Epilepsie. Die Gerüchte vom Initiationsritus für junge Männer, die zwei (?) Wochen lang bemalt und fast nackt im Busch leben und selbst auf die Jagd gehen müssen (was natürlich keiner so genau wissen darf). Die Familien, die von Tieren leben, sie aber ohne jedes Zeichen von Wertschätzung behandeln. Und die alten Männer, die schon viel älter sind, als irgendjemand junges im Dorf heute wird, und ihre Zeit damit verbringen, sich über ihre Tiere zu unterhalten. Auf der anderen Seite die jungen Leute, die etwas aufbauen, um die Armut zu bekämpfen. Nicht immer schön oder romantisch, aber auf jeden Fall eindrucksvoll.
In Kapstadt geht es mir auf die Nerven, dass vieles auf Touristen ausgelegt ist. Insbesondere auf solche Touristen, die sich schnell beschweren, wenn etwas nicht auf dem gleichen Standard ist wie zu Hause (warum diese dann nach Südafrika fahren, bleibt mir ein Rätsel). In Nqileni hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, als Tourist das Bild abzugeben, das Touristen in Kapstadt allzu oft bei mir hinterlassen. Ich finde, wir Besucher wurden wirklich wie Gäste behandelt, nicht wie die berühmten „Devisenbringer“, die wir natürlich trotzdem waren.
Eine Woche lang war ich an diesem wunderschönen Fleckchen Erde, ehe es für mich mit dem Pickup- und Minibustaxi zurück nach Mthatha und anschließend mit dem DMJ-Bus nach Kapstadt ging. 26 Stunden Fahrt, viermal umsteigen, aber morgens gut gelaunt, eine halbe Stunde, bevor ich wieder zu arbeiten beginnen sollte, direkt am Tor der DSK abgesetzt, unbeschadet und mit all meinen Habseligkeiten. Die Sonne strahlte mich an und ich war erholt.
Es hat gut getan, darüber zu schreiben. Da kommt gleich ein bisschen Erholung wieder zurück. Kann aber auch daran liegen, dass ich gerade auf der Arbeit nicht viel zu tun habe. Eine Reise nach Nqileni zu Bulungula kann ich nur wärmstens empfehlen. Eine Woche scheint mir auch die ideale Länge des Aufenthalts zu sein.
Im Nachbarhomestay bei Bulungula habe ich eine Familie aus Kapstadt getroffen. Als ihr viereinhalbjähriger Sohn einmal in die Hütte kam, in der ich gerade mit den Kindern meiner Gastfamilie spielte, habe ich ihn auf Xhosa begrüßt und bekam als Antwort „You can talk English to me, I’m South African.“ Alle anderen Anwesenden waren auch Südafrikaner, sprachen aber kein Englisch. So klein scheint die Welt doch nicht zu sein, wenn selbst Südafrika zu groß ist, um es als ein Land zu begreifen. Oder? Die Mutter des kleinen Jungen betreibt eine Xhosa-Sprachschule in Kapstadt – und das Lehrbuch, das ich jetzt zum Xhosa Lernen benutze, hat sie geschrieben und herausgegeben. Ohne mir sicher zu sein, ob das jetzt korrekt ist, sage ich:
Sobonana kwakhona!
Carl
Hallo Lieber Carl
Ich bin die Mutter von Vici und habe dich im Januar in Kapstadt getroffen.Dein Bericht über deinen spontanen Ausflug in ein traditionelles afrikanisches Dorf und deine Bilder haben mir sehr gefallen.Dir alles Gute.Petra Scheyer